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1992 - 2024
32 Jahre entwicklungspolitische Arbeit

 

Welturaufführung - ein ehemaliger Bischof als Staatspräsident
von Hermann Schmitz † 30.03.2019
09.08.08     A+ | a-
Wir erinnern uns:

Bischof Fernando Lugo war und ist einer aus der raren Spezies der Vertreter einer „Theologie der Befreiung“, energischer Anwalt der Ärmsten und Schwächsten, an denen es in seiner Diözese wahrlich nicht mangelte.

Gewissensberuhigende Predigten für die Reichen, wie sie z. B. in der Hauptstadt Asunción zu hören sind, waren nicht seine Sache  -  Lugo  ergriff stets Partei für die Besitzlosen und Entwürdigten, und er redete Klartext.

Warf man ihm vor, er unterstütze illegale Aktionen (Landbesetzungen beispielsweise) und verstoße damit gegen das verfassungsmäßig verbriefte Recht auf Eigentum, so lautete seine Antwort:

„Ja  -  aber da steht auch etwas von der sozialen Verpflichtung, die aus Eigentum erwächst, und vom Recht auf ein eigenes Stück Land!“

Abenteuerlich waren die Anschuldigungen gegen ihn, sie reichten bis zum Etikett: „Helfershelfer von Entführern und Freund der kolumbianischen FARC-Rebellen“ -  Lieblingslüge auch des letzten, jetzt abgewählten paraguayischen Präsidenten Nicanor.

Der März 2006 war eine Art Wendepunkt in der neueren Geschichte des Landes, als dreißigtausend Paraguayer gegen den amtierenden Präsidenten und dessen verfassungswidrige Machenschaften zum Zwecke seiner Wiederwahl aufmarschierten. Diese sehr erfolgreiche Demonstration war bereits die Frucht einer organisierten Zusammenarbeit eines (noch) losen Oppositionsbündnisses.

In der Folge wird Lugo zur heimlichen und dann zunehmend offiziellen Leitfigur der „Alianza Patriótica para el Cambio“, der aus der liberalen Oppositionspartei PLRA und linken bis gemäßigten Gruppierungen zusammen gesetzten „Patriotischen Allianz für den Wechsel“.

Dieses erstmals in Paraguay funktionierende Bündnis gegen die herrschenden „Colorados“ wollte wirklich und entschlossen den Wechsel herbei führen.

Lugo verfolgt seine Vision von der „Politik als sublimster Ausdruck der Liebe zu den Menschen“, tritt im Dezember 2006 folgerichtig vom Priesteramt zurück und will sich in den Laienstand versetzen lassen.

Doch er hat die Rechnung ohne den Wirt Benedictus gemacht, der ihn „a divinis“ entließ. Soll heißen, er durfte das Priesteramt nicht mehr ausüben, blieb aber zwangsweise Geistlicher, ja sogar Bischof.

Immerhin konnte er sich so aber für das Präsidentenamt bewerben.

Getragen von der APC, gewinnt er am 20. April mit 42% unerwartet klar die Wahlen, mit 10 Punkten Vorsprung vor seiner Colorado – Gegen- kandidatin Blanca Ovelar. Ein Erdrutschsieg  - nicht so sehr der Zahlen wegen als aufgrund der epochalen Bedeutung.

61 Jahre Coloradoherrschaft gehen zu Ende!

Ganze vierzehn Tage vor der Amtseinführung hat nun Benedikt Ratzinger dem Fernando Lugo durch die Hand seines Vertreters in Paraguay, Nuntius Antonini, ein Präsent überreicht:

Der Papst, der sich so energisch gegen seine Kandidatur gestellt hatte , „gewährt“ Lugo auf den letzten Metern, ohne ihn zu exkommunizieren, den Laienstatus  -  eine absolute Premiere:

„Sein Klerikerstand ist unvereinbar mit seinem Amt als Präsident“, begründet der Nuntius messerscharf.

„Bis zum letzten Tag des Wahlkampfes“ habe man versucht, Lugo von seiner Kandidatur abzubringen.

Da er aber von der Mehrheit des Volkes gewählt sei, wolle der Papst nun seinem Amtsantritt nicht mehr im Wege stehen ...

Donnerwetter! Logik a la Vatikan: Man hat die  Wahl abgewartet, dem Kandidaten freilich diese Taktik verschwiegen. Da stellt sich die Frage:

Und wenn Lugo keine Mehrheit errungen hätte? Ratzingers Geheimnis.

DochLugo ist nicht kleinlich und nimmt das Geschenk an, zeigt gar Verständnis: “Ich möchte seiner Heiligkeit Benedikt XVI. ehrlich danken für eine Entscheidung, die gewiss nicht leicht war.“

(Lugo möchte nach seiner fünfjährigen Amtszeit wieder sein Bischofsamt ausüben  -  das wäre dann, würde der Papst ausnahmsweise zustimmen, eine weitere Welturaufführung)

So ist also wenigstens das mit dem Segen von oben geklärt.

Ansonsten ist die Euphorie über den Wahlsieg Lugos einer ziemlichen Ernüchterung gewichen. Einige Tage vor dem 15. August herrscht zudem ein Klima der Unsicherheit.

Was soll/wird sich ändern im Regierungshandeln? Wie werden die massiven Landbesetzungen im Norden die ersten Wochen der Regierung beeinflussen? Was ist von den Gerüchten einer „Destabilisierung“ zu halten? Hat die neue Regierungsmannschaft genügend Substanz für einen halbwegs überzeugenden Start?

Federico Franco, designierter Vize der liberalen Partei und Lugos Zweckverbündeter, hat sich zuletzt deutlich von Lugo abgesetzt, die Kommunikation zwischen den beiden ist gestört, für manchen nicht unerwartet.

Franco scheint Lugo erheblich unterschätzt zu haben. Was konnte der Kirchenmann anderes sein als ein Greenhorn? Einmal am Ruder, würde man ihn doch glatt überspielen und die wahre Macht ausüben.

Von wegen! Lugo ist mit allen Weihwassern der Kirchenpolitik und –taktik gewaschen, hat außerdem eine Menge Erfahrung in der Verwaltung seiner Diözese sammeln können.

Er allein hat die Männer und Frauen der neuen Regierung bestimmt, Franco blieb mit seinen Personallisten (die nach Vetternwirtschaft rochen) außen vor, verlor auch seinen Platz in Lugos engstem Kreis.

Die Zeiten, in denen der paraguayische Staat ein Selbstbedienungsladen war, scheinen vorbei.

Nach einer Analyse des bekannten Journalisten Roque G. Vera vollzog sich Lugos Kandidatur aus der Mitte einer siebenköpfigen Aktionsgruppe von Funktionären und Priestern, die mit ihm eng befreundet sind (einer von ihnen Sixto Pereira, langjähriger Partner der Pro Paraguay Initiative). Sie waren gleichsam Lugos „Visitenkarte“, auch dienten sie ihm als Hilfstruppe schon zu Zeiten, als er mit von ihnen geborgten altersschwachen Fahrzeugen auf abenteuerlichen Wegen die Bauerngemeinschaften von San Pedro besuchte.

Nach seiner Wahl bildete sich ein neuer Kreis politisch ambitionierter Personen um ihn, und jene alten Freunde der ersten Stunde gerieten ins Abseits, sodass Lugo riskiert, die „Bodenhaftung“ zu verlieren, wie Vera meint. Statt des Bündnispartners Franco, Chef der Liberalen, der seinen Platz an Lugos Seite einbüßte, sei nun Camilo Soares an die Stelle getreten.
Ist der (Vor)name Programm? Camilo S. ist vom „Partido Movimiento al Socialismo“, der Partei ´Bewegung zum Sozialismus`, ein junger, intelligenter und ehrgeiziger Mann.

So sei Lugos „erster Triumph“ der in aller Öffentlichkeit vollzogene Schwenk nach links.

Ein schwieriges politisches Panorama, verstärkt durch einen Wechsel bei den Colorados, wo nun der mächtige Zigarettenfabrikant (oder/und –schmuggler?) Dibb nach juristischen Querelen mit dem bisherigen Parteiführer Nicanor die Führung übernimmt.

Treibstoffe, Zement, Medikamente,Gas u.a.m. werden zur Zeit auffällig knapp in Paraguay, und Lugos Kabinettchef Perito sieht ein „mögliches Interesse an der Schaffung eines Klimas der Unruhe, welches der neuen Regierung zugeschrieben werden kann“.

Pläne für einen „Komplottversuch“ gegen Lugos Start sieht die Alianza Patriótica para el Cambio“ als erwiesen an, nach dem 15. August will sie mit den Beweisen heraus rücken.

Stichworte sind gezielte Unterversorgung, Plündern der Kassen der öffentlichen Verwaltung, Instrumentalisierung von Landbesetzungen, die als von der neuen Regierung angestiftet hingestellt werden sollen.

Geistlich – moralischen Beistand erhielt Lugo jüngst von dem wohl prominentesten aus der inzwischen knapp besetzten Riege der Befreiungstheologen, Leonardo Boff, der, zu Besuch in Asunción, sich ausführlich mit seinem (wie er) ehemaligen Amtsbruder beriet.

„Die katholische Kirche ist eine große Sekte, wir brauchen Pluralismus statt Zentralismus!“, ließ Boff verlauten, auf den vom Papst bekräftigten Alleinvertretungsanspruch abhebend. Und: „Die Hierarchie muss die Paläste verlassen, die Nähe zu den Mächtigen aufgeben und die Armen begleiten!“

Der Dialog zwischen Brasilien und Paraguay über einen fairen Preis, den Paraguay für seinen Stromanteil am Itaipú-Kraftwerk fordert, scheint voran zu kommen. Lugo übergab jetzt dem bras. Unterhändler García einen Sechs-Punkte-Memorandum.
Das Treffen wurde als „historisch“ bezeichnet. Brasilien scheint sich zu bewegen. Einnahmen aus dem gigantischen Itaipú - Kraftwerk, das ihm auf dem Papier ja zur Hälfte gehört, wären für den paraguayischen Staat von enormer Bedeutung. Für Lugo war diese Frage immer Chefsache.

Auf der paraguayischen Seite des Tisches saß Ricardo Canese, brillanter Fachmann für das hochkomplizierte Itaipú-Vertragswerk.

Lugo war in den letzten drei Monaten viel unterwegs: Argentinien, Brasilien, Ecuador, Bolivien, Chile, Venezuela und Nicaragua  -  in Brasilien und Argentinien gleich mehrfach.

In Nicaragua traf er  -  durchaus unfreiwillig  -   mit der fossilen Betonsozialistin Margret Honecker zusammen, es scheint mir fraglich, ob er von der Dame überhaupt schon gehört hatte. Egal, es war ein gefundenes Fressen für die konservative Presse, auch hierzulande. Las man z. B. die papsttreue Rheinische Post, konnte man den Eindruck gewinnen, Lugo habe sich von MH den Sozialismus erklären lassen .....

Paraguay hat eins der schlechtesten Bildungssysteme SA´s  
In Venezuela sprach Lugo über Erziehung als „großer Investition, welche sich später auszahlt in mehr Gleichheit, Gerechtigkeit, Intellígenz und Dienstleistungen für die Gesellschaft.“ Wohl gesprochen, aber wie er in Paraguay „reformas integrales“ anpacken will, blieb aus der Ferne undeutlich.

Außerdem war es da wieder, auch aus seinem Munde, jenes den politischen Diskurs in Paraguay seit Jahrzehnten vernebelnde Wort „integral“, das alles und nichts bedeutet.

Hoffentlich erfüllt er es mit Leben, sicher ist jedenfalls, dass seine Bildungsministerin keinesfalls schlechter sein kann als Dutzende ihrer Vorgänger.

Die Kirche sah er als Verbündete im Kampf für bessere Bildung, den venezolanischen Präsidenten Chávez als solidarischen Helfer:

„Ich erwarte ihn in Asunción am 15. August, wenn möglich schon einen Tag früher .... Wir gehen den Weg gemeinsam, von gleich zu gleich. Wir schaffen die Integration unserer Völker, mit ihren unterschiedlichen, aber gleichwertigen Charaktern. Unser Kontinent hat unserem Planeten viel zu geben.“  Und Hugo Chávez assistierte:

„Sie nannten ihn den Bischof der Armen, er warf sich in die Politik im Zuge der Revolution, die in Südamerika herrscht, und die Gott sei Dank friedlich ist. Eine Revolution des Volkes, das genug hat von so viel Armut, von so vielen Eliten, die herrschten und sich nur bereicherten.

Insgesamt 90 Delegationen aus aller Welt werden der Amtsübergabe beiwohnen -  aus Europa nur der Prinz Felipe von Asturien, aus Afrika der Diktator Nguema aus Äquatorial-Guinea, vermutlich wusste keiner, wie man ihm das ausreden sollte ... Ansonsten tauchen aus Südamerika fast alle Staatschefs auf. Nur Fidel Castro fehlt auf der Liste.              

Wir fehlen leider auch auf der Liste ...obwohl ....wenn sie den afrikanischen Finsterling ausladen, wäre doch noch ein Plätzchen ....

Wir werden das Spektakel vor dem Präsidentenpalast gemeinsam mit der Bevölkerung erleben, wir hoffen auf eine fröhliche Feier und berichten.

(Mein schüchterner Versuch, der Zeitung, in diesem Fall der „WZ“, einen Bericht anzubieten, ist kläglich fehl geschlagen:

„ .....nicht unser Interesse, Reportagen dieser Art abzudrucken....die Amtseinführung eines Präsidenten ist für uns nicht mehr als eine Notiz.“

Paraguay taucht weiterhin fast ausschließlich im Fußball auf, und nur durch Lugo hat sich der Mantel des Schweigens etwas gelüftet.

Als Kontrast zu dieser öffentlichen Wahrnehmung gibt es allerdings eine Gruppe von Menschen, für die Paraguay einen ganz besonderen Klang hat. Es sind Auswanderer, sehr viele aus Deutschland, die in wachsender Zahl Paraguay als Ziel ihrer Sehnsüchte ausgemacht haben. Und als Billigland, nach dem Motto:
„Mit 500 bis 1000 Euro ein Leben nach Gutsherrenart -  in Paraguay!“

„Asunción  -  die billigste Hauptstadt der Welt!“

Darf ein Staatschef weinen?

Vor vier Jahren brannte einer der größten Supermärkte Asuncións ab  - vierhundert Menschen starben, viele von ihnen unnötig, da ein verbrecherischer Besitzer die Ausgänge hatte verrammeln lassen.

Auf der Gedenkfeier sprach auch Lugo, und bei einer emotionalen Passage seiner Ansprache musste er einhalten, da die Rührung ihn übermannte und Tränen flossen.

Wahrlich kein Verhalten auf der Macho – Linie, ungewohnt für Paraguay.

Schnell wurde auch der Taktik – Vorwurf laut.

Für seine Anhänger zeigt es aber nur die Menschlichkeit ihres neuen Mannes an der Spitze, und da sind sogar in Paraguay Tränen bei einem Staatsmann erlaubt.

Wir werten es als ein gutes Zeichen.

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